Putango

Heute: Italienisch.

Putana.

Putana ist das italienische Wort für Nutte.

Wozu nun dieser kryptisch anmutende Kurzprolog? Fragen sich die geneigten LeserInnen der Hauptstadtfrau, die wissen, dass diese vor mehr als zehn Jahren in Berlin dem Tango argentino den Rücken kehrte. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Tangoneuling auf den Milongas der Hauptstadt. Erlebnissen, die in etwa so erfreulich waren, wie sich stundenlang mit wachsender Begeisterung mit einem Hammer auf den Daumen zu schlagen, bis dieser endlich platzt.

In Hamburg nun, nach langen Jahren der Rekonvaleszenz, wie man annehmen könnte, kam die Liebe zum argentinischen Tanz unerwartet zurück. Und mit ihr deutlich erfreulichere Erfahrungen als in der Hauptstadt.

Dinge aus der Vergangenheit verblassen bekanntlich in der Erinnerung. Oder verklären sich mit der Zeit. Umso wuchtiger fliegt einem alles bei einer Neuauflage um die Ohren. So zum Beispiel bei Tango 2.0

Nun ist überall, national und international, das Problem im Tango ähnlich gelagert. Das Problem heißt: Frauenüberschuss. Es gibt viel zu viele Frauen, die als sogenannte Folgende, bzw. Geführte, gern tanzen möchten. Im Verhältnis dazu gibt es eindeutig zu wenige führende Rollen, die diese unzähligen Tanzwilligen auffordern und beglücken könnten oder wollten. Zudem bleibt man lokal gern unter sich. Mann betanzt die, die Mann kennt. Oder tanzt eher mit einem anderen Kerl, als mit einer ihm unbekannten Frau. So sieht das aus. Die Ausnahme ist Buenos Aires, die Wiege des Tango. Wo Frauen, auch solche jenseits der 50, jenseits Kleidergröße Size Zero und des Status‘ „Fortgeschritten“, sehr willkommen sind. In Argentinien erfahren Frauen höchste Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Sie werden aufgefordert, gelegentlich nicht nur zum Tanze. Kennen Sie den auch noch: Darf ich bitten? Oder wollen wir erst tanzen? Nicht ohne Grund ist Buenos Aires das gepriesene Eldorado tangoliebender Frauen jeglichen Alters.

Hier erfährt Frau 60 plus zu ihrer großen persönlichen Überraschung und Freude urplötzlich, dass sie gar nicht unsichtbar ist. Und bei Weitem nicht auf Trockendock liegt. Weder tänzerisch noch sexuell. Nein, in BsAs tanzen die Frauen. Nächtelang. Glücklich. Himmlische Zustände,- wie die Hauptstadtfrau aus mehreren verlässlichen Quellen erfuhr.

Ganz anders nun verhält es sich in Europa. Daselbst jüngst erfahren in Deutschland, Italien und Polen. Nieman(n)d schiebt gern eine Unbekannte, womöglich dazu gar eine Anfängerin, übers Parkett! Eine ganze Tanda lang,- sprich: drei oder vier Tänze. Will sagen, gleichbedeutend mit zehn bis zwölf Minuten wertvoller Lebenszeit. Nein!

Männer haben bekanntermaßen eine kürzere Lebenserwartung als Frauen, daher müssen sie sorgsam mit ihrer Lebenszeit umgehen. Saufen, Rauchen, Fressen, ja. Doch: Keine der wertvollen Minuten mit einer unbekannten Tangowilligen vergeuden! Bewahre!

Selbst, wenn man es sich kaum vorstellen mag: Eine fassungslose Tänzerin beklagte unlängst bestürzt, von einem Eintänzer in der Fischbratküche einfach stehengelassen worden zu sein. Nach nur einem von vier Tänzen. Weil sie seiner oder seines begnadeten Tanzniveaus augenscheinlich nicht würdig war. Vermutlich war sie zudem nicht Teil des Inner Circles einer der diversen arroganten, elitären Bessertänzer- Cliquen. Die kennt die Hauptstadtfrau aus Berlin. Die Hauptstadt scheint noch immer führend in Sachen Arroganz und darin, sich selbst zu zelebrieren.

Die Elite tritt gern heuschreckenartig auf Festivals in Erscheinung. Und hinterlässt bei manchem das ungute Gefühl, nicht wirklich des Tangos mächtig zu sein. Während die Bessertänzer zeigen, was eine Harke ist. Oder besser: Ein hohes Bein beim Boleo, beim Gancho, bei rotierenden, beinzwirbelnden Hebefiguren oder einem eingesprungenen Rittberger auf das ausgestellte Knie des Herrn. Die virtuosen Darbietungen sind dabei derart raumgreifend, dass man tunlichst zügig auf Abstand geht. Um nicht den einen oder anderen spitzen Absatz in Achillessehne oder Wade gespickt zu bekommen. Oder sich eine schöne Perforation in sein Mittelfußgewölbe stanzen zu lassen. Denn, merke: Eine kleine Tanzfläche ist für manche noch lange kein Grund, den Tanzstil und Bewegungsradius entsprechend anzupassen. Damit sollen sich gefälligst die anderen arrangieren, sofern sie auf körperliche Unversehrtheit Wert legen.

Manches einschlägige Tango- Etablissement mit wohlklingendem Namen gleicht gefühlt vermintem Gebiet. Ähnlich wie bei Clans und Großfamilien in der organisierten Kriminalität, scheint die Tango- Elite der Stadt das Terrain unter sich aufgeteilt zu haben. Die Elite bleibt sich treu-, in Auftritt, Art und Weise. Das Tango- Fußvolk hingegen bleibt andächtig staunend und gleichermaßen verzweifelt zurück. Recherchen haben ergeben, dass es das männliche Pendant zu Putana, also Putano, nicht zu geben scheint. Wenn es hier auch hauptsächlich um die Frau im Tango geht,- auch Männer haben gelegentlich ihr Tun. Um der Wahrheit zur Ehre zu gereichen. Auch Mann bekommt gelegentlich einen Korb von Frauen, es wird seinem Blick ausgewichen. In diesem Fall handelt es zumeist um Frauen, auch als sogenannte Cherry Picker bekannt, die freiwillig fast den ganzen Abend sitzen, bis einer der Bessertänzer auf den Plan tritt und sie auffordert. Doch, es soll hier nicht um Minderheiten mit Luxusproblemen gehen.

Frauen belegen im Laufe der Zeit Frauentechnik- Workshops. Für eine gute Achse, Fußarbeit und schöne Embellishments. Wozu genau? Um gut aufgerichtet, auf dem Stuhl sitzend, ebendort festzuwachsen? Dabei formschöne kleine Adornos unter dem Sitzmöbel auf den Boden zu scharren? Verzierungen für niemanden, nicht einmal für sich selbst? Wieviel Masochismus muss Frau in sich tragen, um sich das, ohne wirkliche Not, anzutun?

Emanzipierte, gebildete, attraktive Frauen verfallen in eine Art mittelalterlichen Zustand. Erlangen gefühlt aus der Zeit gefallene Daseinszustände, in denen sie zu grinsenden Zombies verkommen. Sie säumen, sitzend, den Tanzboden, an dessen Ecken die Männer sich aufbauen. Um von dort in exponierter Position, den wählerischen Blick über das Angebot, die üppige Auslage, schweifen zu lassen.

Manche Frau hat, aus der Not heraus, eigene Methoden entwickelt, um an eine Tanda zu gelangen: Mann anvisieren, sich neben ihm platzieren und umgehend damit beginnen, ihm eine Imbissbude ans Ohr zu texten. So lange, bis er keinen anderen Ausweg mehr sieht, sich ihrer zu entledigen, als sie aufs Parkett zu führen. Notfalls kann Mann die Tanda auch abkürzen…

Bei „Mann“ ist auch von Männern die Rede, neben denen Frau in der U- Bahn nicht freiwillig Platz nehmen wollte, wäre anderswo ein freier Sitzplatz in Sicht. Beim Tango, auf der Milonga ist schlagartig alles anders. Es gelten andere Prinzipien. Mann mutiert zum obskuren Objekt der Begierde. Ausnahmslos wirklich jeder wird angelächelt, bis der Arzt kommt. Wird wimpernklimpernd angestrahlt,- so, als gäbe es kein Morgen.

Kommt es dann doch zu einer Paarung im Sinne des Tangos, kann es passieren, dass Frau sich wie ein behäbiger Eichenschrank über das Parkett geschoben fühlt. Sich wahlweise, wie in einer Schraubzwinge eingeklemmt, kaum bewegen, geschweige denn, atmen kann. Oder, es wird an ihr gerissen. wie an einem schwergängigen Fahrradlenker. Im größten aller möglichen Unglücksfälle verfügt der Herr über größere Mengen Zahnsteins im stets leicht geöffneten Munde. Wo unter der Anstrengung der Führung nun jede Ausatmung einen intensiven, muffig- säuerlichen Geruch freigibt. Von einem triefnass geschwitzten Polyesterhemd, unter ihrer Hand auf den Rücken des Herrn, einmal ganz zu schweigen. Frau soll jetzt mal nicht undankbar sein. Immerhin darf sie tanzen. Wenn auch mehr schlecht als recht. Mundgeruch kann durchaus dabei dienlich sein, die Situation weniger deutlich, wahrzunehmen, so olfaktorisch vernebelt. Gleich darf sie ja wieder über Stunden sitzen und sich dabei hinlänglich regenerieren.

La Putana. Da sitzt sie. Die Tanguera. Nicht unähnlich den Sexdienstleisterinnen im Amsterdamer Rotlichtviertel. Spärlich bekleidet, lächelnd, lockend, sitzen sie in Schaufenstern und warten. So auch die Tanzwillige. Aufgebrezelt. Aufgedonnert über Stunden. Im heimischen Zimmer ein Berg Tangobekleidung, als sein der Kleiderschrank explodiert. Sie hat sich schön zurecht gemacht. Das Kleid kniefrei bis zum Hals. Dazu waffenscheinpflichtige Stiletto- Highheels, die jedem Orthopäden leuchtende Dollarzeichen in die Augen zaubern.

Dabei könnte sie ebenso gut in beuteliger Latzhose, Modell Berliner Stadtreinigung, erscheinen. In ausgelatschten Birkenstöckern. Mit komplett verunglückter Friese oder, wahlweise, im Out of Bed Look. Mit veritablen Panda- Augenringen, wie nach einer zünftig durchzechten Nacht. Mit Damenbart oder einem leuchtend rotem Pickel am Kinn. Am Ergebnis würde das nichts ändern. Nichts.

Doch, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und,- es sitzt sich hübsch aufgerüscht einfach etwas selbstsicherer und würdevoller in der unwürdigen Gesamtsituation. Besser, als sich zudem noch wie Quasimoda zu fühlen.

Vielleicht hilft das angestrengte Dauerlächeln wenigstens gegen Faltenbildung? Face Yoga, quasi? Gibt es da nicht ein Asana namens „Wartende Frau mit Dauergrinsen wie nach überstandenem Schlaganfall“? Die Mundwinkel wie an die Ohren angeknöpft. Dazu permanentes Kopfnicken, als sei die Bedauernswerte nun auch noch an Morbus Parkinson erkrankt.

Dabei macht sie nur den Cabezeo. Die kleine aufmunternde Kopfbewegung, die dem Tänzer signalisiert, dass sie sich gern für diese Tanda mit ihm verabreden würde. Nicht zum Heiraten, nicht für eine Bergsteigertour auf den K2,- nein, für nur eine Tanda. Drei bis vier Tänze. Zehn bis zwölf Minuten. In der Musik zu sein und dabei einen Augenblick lang glücklich. In dem Augenblick, für den sie sich Schwielen gesessen hat.

Die Cortina. Die Pause zwischen den Tänzen,- der Moment, die Mundwinkel noch ein wenig höher zu ziehen. So, als habe man einen Pferdeschwanz bedeutend zu stramm am Hinterkopf zusammengerafft. Jetzt aber den Blick kreisen lassen. Bis zum Schleudertrauma. Lächeln. Nicken. Oh,– Cortina vorbei.

Jetzt Plan B. Die dauerlächelnde Aufgerüschte schaut in die eigene Sitzreihe. Die letzte Gelegenheit für das schmerzlich verschmähte und sitzengebliebene Restepastetchen, doch noch einen der begehrten Führenden abzubekommen.

Na gut. Dann nicht. Vielleicht bei der nächsten Tanda. Oder der übernächsten. Oder.

Epilog:

Putana = Nutte.

Tango = Tanz.

Putango.

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Prostatabeschwerden, schlaffe Haut und Schlafstörungen

Also, ich bin einigermaßen befremdet, dass mir hier eine Galerie fragwürdiger Werbungen angezeigt wird, die ich mehr als reichlich unappetitlich finde. Auch eine Neuerung hier? Meta, äh mega! Echt CRINGE! Und diese Werbungen soll künftig meinen Besuchern angezeigt werden. Ausgenommen, ich upgrade meine Seite und verschone dadurch meine überschaubare Leserschaft vor diesen ästhetischen und inhaltlichen Zumutungen. Kostenpflichtig, versteht sich. Geben wir dem hoffnungsfrohen Neustart eine Chance. Sollten sich künftig wieder mehr Menschen auf meine Seite verirren und für meine schriftlichen Ergüsse interessieren, wäre ich bereit, dieses Upgrade zu zahlen. Vorausgesetzt, es erschließt sich mir, gern zeitnah, wie das hier funktioniert. Echt nicht senorengerecht. Bis ich hier durchsteige und entscheide, ob ich bleibe oder gehe…

… entschuldige ich mich für die bunten Bildchen zu Prostatabeschwerden, schlaffer Haut und Schlafstörungen. Ich arbeite daran.

Eure Hauptstadtfrau —->>> Hansestadtfrau

Alles irgendwie anders hier. WTF. Why?

Seit meinem letzten Beitrag hier bei wordpress hat sich einiges gravierend geändert,- scheinbar.

Ist die Technik in der Zwischenzeit so weit fortgeschritten, dass ich jetzt nicht mehr hinterherkomme? Bin ich vielleicht einfach nur endgültig zu alt für die schöne neue Technikwelt? Oder habe mittlerweile erfolgreich mein Hirn versoffen? Zumindest die Anteile, die technische Probleme immer zu lösen im Stande waren? Nicht ausgeschlossen. Mein erster Versuch, nach gefühlten 10 und tatsächlichen 4 Jahren seit meinem letzten Besuch hier, einen ersten Beitrag zu positionieren, ist auf jeden Fall komplett, samt und sonders, in die Hose gegangen. Verschwunden. Weg. Unauffindbar. Augenblicklich erging ich mich in Wallungen. Hitzewallungen. Nein nein, nicht etwa aufgrund von Wechseljahren,- vor Stress. Wenn ich das Prinzip hier nicht durchschaue, ist der Wiederaufnahme der steilen Autorinnenkarriere an dieser Stelle, ein jähes Ende auf jeden Fall sicher. Und bevor „The System“ auch diesen Versuch unauffindbar verschluckt und nie wieder ausspuckt, wird gepostet. Als Versuch zur Güte.

Meine Güte!

Hauptstadtfrau oder Hansestadtfrau?

Alles hat seine Zeit. Berlin ist immer eine Reise wert, unter Umständen auch eine längere. Nach neun Jahren nun ist wirklich alles erlebt, ausgereizt, und auch die längste Reise geht irgendwann einmal zuende. Bevor Frau nun endgültig an das Gefühl zu glauben beginnt, unsichtbar oder grottenhässlich und unattraktiv zu sein, nur weil gefühlt alle Berliner Männer durch sie hindurch laufen.

Wobei dabei völlig unerheblich ist, ob sie sich hochgeschlossen, in schrillen Neonfarben, aufgerüscht oder kniefrei bis zum Hals präsentiert,- auf den Straßen und in den Lokalen Berlins ist sie unsichtbar. Männer nehmen sie nicht wahr.  Damit sind nicht die gestressten Prenzelberger Vorzeigepapis in ihren Prenzelberger Vorzeigebeziehungen, Prenzelberger Vorzeigedachgeschosswohnungen, ihren Prenzelberger Vorzeigejobs oder ihren multitalentierten, mehrsprachigen, hochbegabten Vorzeigekindern mit intellektuell- bourgeoisenen Vorzeigenamen gemeint. Ebenfalls nicht gemeint sind die zahlreichen Männer, die sich auf mehreren Datingportalen gleichzeitig registrieren. Deren wahre Interessen nicht alle 11 Minuten auf eine Beziehung abzielen, sondern die vielmehr auf einen Seitensprung. ONS. Blowjob. Things, his wife refuses to do. Oder aber im Bestfall auf beziehungsähnliche Unverbindlichkeit hinauslaufen. Es wird es Zeit für den ultimativen, gelebten Gegenbeweis. Im Auftrag der Rettung des restlich verbliebenen Selbstbewusstseins. Tschakka! Bäm! Yesss.

In der Hauptstadt läuft eine halbwegs attraktive Frau 40+ tatsächlich Gefahr, eher von einem Grizzly mitten auf dem Alexanderplatz gerissen zu werden, als einem Mann zu begegnen. Also, einem nicht gestörten, nicht narzisstischen, tatsächlich heterosexuellen, sexuell präferenztechnisch im Normbereich gelagerten, ungebundenen, halbwegs aufgeräumten Mann. Der sich zu allem Luxus auch noch auf eine ernstgemeinte Beziehung einlassen möchte.

Und der misst dann, bei all diesen herausragenden Eigenschaften, idealerweise auch noch mehr als 148 cm. Also Körpergröße, natürlich. Er hat den Mund voller Zähne. Den Kopf voller Haare. Nicht den Rücken, die Ohren oder die Nasenlöcher. Und geht nicht überall, ohne Vorlage seines amtlichen Lichtbildausweises, als eineiiger Zwillingsbruder von Quasimodo durch.

Da! Schau! Ein Einhorn!

Männer in Berlin sind nun das eine Problem, Arbeit in Berlin das andere. Natürlich bekommt man in Berlin, auch als nicht verbeamteter Ellbogenschonerträger und Sesselanwärmer im Staatsdienst in höheren Bundesämtern eine Anstellung. Sofern man allerdings etwas flexibler ist als sonst schon, anderswo im Rest der Republik. Aber, ist es nicht so: Hauptsache Berlin!

Man gönnt sich ja sonst nichts. Wovon auch? Die erhebliche Mehrfachbelastung eines Multijobbers, auf befristetem Pöstchen, im Mindestlohnbereich, sollte man keinesfalls scheuen, wollte man sich aus eigener Kraft durchbringen.

Doch, mal ganz ehrlich, wer möchte schon von seinem Einkommen leben können? Von einem das Überleben sichernden Gehalt, das man in einer einzigen, angemessenen Vollzeitbeschäftigung erarbeiten kann? In Berlin! Also wirklich, irgendwo wollen wir doch mal realistisch bleiben! Wer will sich Freizeit leisten, oder aber sogar einmal einen Urlaub? Wer hat schon ein Bedürfnis nach ein wenig Sicherheit? In der Stadt, die alles bietet. Gut betuchten Touristen zum Beispiel. Oder den wohlhabenden Pensionären, die sich kurz vor dem Ruhestand eben schnell noch eine letzte Stufe ihrer Beamtenlaufbahn hochgeschlafen haben.

Ein Berliner Klein- oder Normalverdiener mit Kunst- und Kulturbedürfnis kann sich, wenn der stramme Dienstplan es zulässt, am Vormittag ein öffentliches, kostenloses Probenkonzert der Berliner Philharmoniker anhören. Denn für eine Abendveranstaltung reicht das Geld, selbst auf einem Sitzplatz mit eingeschränkter Sicht, sprich, hinter einem dicken Pfeiler, nicht. Da steht vielmehr zur Überlegung an: Gehe ich ins Konzert, oder kaufe ich stattdessen für einen halben Monat Lebensmittel ein, für mich und meine Kinder.

Die Hauptstadtfrau hat weder Kinder zu versorgen, noch wartet sich auf die Begegnung mit dem Grizzly. Sie ist einfach schlicht und ergreifend berlinmüde. War doch die schnodderige, unfreundliche Art der Möchtegernberliner eingangs so charmant und authentisch, so ist sie irgendwann nur noch unerträglich, ungehobelt und ungezogen. Jedem Anfang wohnt, so Hesse, ein Zauber inne. Doch verbraucht sich dieser nachhaltig in der Berliner Luft,  wenn man irgendwann feststellt, dass es nicht die einst so vielgepriesene Berliner Schnauze mit Herz ist, die einen frühmorgens auf dem Gehweg unvermittelt, grundlos, aufs Unflätigste tief unter der Gürtellinie anpöbelt. Sondern dass es sich hier, ganz unromantisch betrachtet, um Menschen ohne jedes Benehmen handelt, die sich einfach mal ganz ungebremst ausleben. Und irgendwie scheint Berlin sie alle eingeladen zu haben, die Ungehobelten und Unfreundlichen. Wir schaffen das! hat sich Berlin dabei wohl gedacht.

Ob die Hauptstadtfrau nun ausgerechnet bei den steifen, kühlen Hanseaten richtig sein würde? unkten einige Stimmen. Die Klischeeschublade ist bekanntlich schnell aufgerissen. Abwarten, sagte die Hauptstadtfrau sich im Stillen. Manchmal weiß Frau einfach, dass sie aufbrechen muss zu neuen Ufern. Gesagt getan.  Nicht ahnend, dass sie sich kurze Zeit später wie Misses Murphy herself fühlen würde, ob all der unfassbaren Ereignisse, die sie erleben würde. Alles was passieren konnte, passierte. Doch dazu später mehr. Vielleicht. Ganz vielleicht.

Am Arsch – Die Pampa Teil 2

Am Arsch – Die Pampa
Teil 2
Landpartie – Nah am Wasser, nah am Rande des Nervenzusammenbruchs

Die A2, bekanntermaßen eine der meistfrequentierten Bundesautobahnen und Ost- West- Achse quer durch die Republik, auch extrem stauverwöhnt, sollte nur so lange wie unbedingt nötig die gewählte Reiseroute sein. Da die Hauptstadtfrau nicht nur Berlin ihr Domizil nennt, sondern sich früher „unterm Schwanz“ verabredete, weiß sie um die Verkehrssituation rund um die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Unterm Schwanz meint den Treffpunkt unter dem Schweif eines Pferdes auf dem Reiterstandbild vor dem Hannöverschen Hauptbahnhof.

Ein Denkmal, einst zu Ehren Ernst Augusts, des Landesherrn des ehemaligen Königreichs Hannover, aus Granit geklöppelt und bedeutungsschwanger beschriftet. „Dem Landesvater Sein Treues Volk“. Genau so steht es dort, deutlich lesbar. Nun verkommt die deutsche Sprache ja zusehends, wie man tagtäglich im Privatfernsehen miterleben kann. Doch, dass schon damals der Dativ dem Genitiv sein Tod war, empfand ich seinerzeit vor zwanzig Jahren schon als recht befremdlich.
Die Niedersachsen, besungen sturmfest und erdverwachsen, weisen in unterschiedlichen Regionen schon eine sonderbare Mundart auf, doch eine solch missverständliche Inschrift an exponierter, kulturell bedeutender Stelle tat ja nun wirklich nicht Not.

Doch weiter zur Reise in die Sommerfrische. Die verregnete. Zuweilen erwies es sich als klug, diese Landeshauptstadt zu umfahren, anstatt auf der A2 sich ab Hämelerwald sich die Reifen ins Chassis zu stehen. Und zu erleben, wie man ohne tatsächlichen Grund einen Stau erzeugen kann. Somit fuhr ich wissend wohlgelaunt an der Ausfahrt Peine ab. Die Strecke über frustrierend klingende Käffer wie Sehnde war mir bestens bekannt. Mein Navi, in seiner jüngst erstandenen eigenen Halterung, wies den ohnehin bekannten Weg. Doppelt hält besser. On the road zeigte ein Schild plötzlich an, dass eine Weiterfahrt in Richtung Hannover nicht möglich sei. Da auch andere Autos trotz dieses Hinweises die Strecke weiter fuhren, tat ich es ihnen nach. Auch die ersten Fahrzeuge, die vor einer Barrikade gewendet hatten, hielten mich auch nicht ab, Hönne bis direkt vor die Absperrung zu fahren. Ich stieg aus und sah ein Stück Straße, dass mir allerhöchstens wie 500 Meter erschien, auf dem die Straßendecke minimal abgetragen war. Ein orange befrackter Straßenarbeiter war zugegen, diesen befragte ich, wie ich denn nun nach Hannover, bzw. noch weiter ins Weserbergland gelangen könne. Hier nicht! bedeutete er mir, als hätte ich es selbst noch nicht bemerkt. Ich fühlte mich fast ein bisschen wie in Berlin, woher ich derlei bestusste und plumpe Antworten gewohnt war. Aber wie denn dann? Können Sie mich nicht eben durchlassen? Ich komme ganz aus Berlin, und jetzt strande ich hier, vor Ihrer Absperrung. Das ist doch ein so kurzes Stück. Das ist 1 Kilometer! belehrte mich die Orange in Latzhose. Im Leben nicht, dachte ich. Bei den Bundesjugendspielen waren das auch 500 Meter, auf denen ich keine Urkunde erlaufen konnte. Die Strecke kannte ich wieder. Doch Männer haben ja bekanntlich ein etwas gestörtes Verhältnis zu Längenangaben.
Ich resignierte. Mein Charme war wirkungslos an ihm abgeprallt. Fahren Sie die Umleitung, erst links, dann rechts. Nun wusste ich bescheid und stieg wieder ein. Zumindest hatte ich nichts unversucht gelassen, was sich im angemessenen Rahmen bewegte. Hätte der freundliche Arbeiter etwas zeitiger seinen Feierabend angetreten, hätte Fraukules -schwupps- mal die Absperrung ein wenig beiseite gerückt. So, wie sie es von den immer neu aufgestellten Halteverbotszeichen in ihrer Straße kannte, die auch ein bisschen korrigiert werden mussten, damit es keinen Bon mit Zahlungsaufforderung an der Scheibe gab. Aber so?

Man konnte hier mitten im Nichts eine Ahnung davon bekommen, wo die hart erarbeiteten Steuergelder mit vollen Händen rausgeworfen wurden. Direkt auf die Straße. Auf dem platten Land. Wo eh kaum jemand langfährt. Und wenn sich mal jemand dorthin verirrt, dann ist leider gesperrt.

Von nun an begann eine Irrfahrt der besonderen Art. Mein Navi leitete mich diverse Wege, an die ich in meiner totalen Orientierungsfreiheit gern glaubte. Ganz gleich, welche Richtung ich nahm ich stieß an Grenzen. Ortsdurchfahrten im Nirgendwo auf dem flachen Lande waren reihenweise, aus unersichtlichen Gründen, gesperrt.
Mein Navi plärrte unentwegt, ich solle rechts abbiegen oder, wenn möglich wenden. Mach ich nicht, halt die Schnauze! Ich war gereizt. Vielleicht war das Frau Tomtoms Rache dafür, dass ich ihr qua Änderung des Menüs das Nutzen von Autobahnen verboten hatte. Kleinliche Schlampe, dachte ich. Das wollen wir doch mal sehen. Ich kurvte planlos durch die Wallachei, während das Navi mich fortwährend zu Abbiege- oder Wendemanöver bewegen wollte. Die schöne Landschaft flog unbeachtet an mir vorbei. Mein Adrenalinpegel auf seinem persönlichen Höchststand, die Nerven vollends blank.
Die gesamte niedersächsische Provinz schien sich verabredet verbarrikadiert zu haben. Ich war am Ende. Nicht ahnend, dass ich mich erst am Anfang einer nicht enden wollenden Odyssee befand.

Das Navi ließ mich rechts abbiegen nach Klein Sowieso, doch selbst dort war dort eine Durchfahrt nicht möglich. Großauftritt für Klein Sowieso. Ich ignorierte fortan sämtliche Aufforderung von Frau Tomtom, und versuchte es mit der eigenen Orientierung. Keine besonders gute Idee. Ich landete im Raum Gleidingen, Ingeln- Oesselse. Auch schön. Doch leider war auch hier der Weiterfahrt ein erneutes, jähes Ende gesetzt in Gestalt einer gefluteten Niederung. Ruthe geht baden! hätte auf dem Schild stehen sollen, das ich einfach ignorierte. Die Straße führte wie ein langer Bootssteg auf eine Unterführung zu. Eigentlich ganz romantisch, wenn hier nicht Schluss gewesen wäre. Einige SUV pflügten durch die Wassermassen, die rechts und links nur so spritzten. Das konnte ich nicht machen, das wäre Hönnes Todesstoß gewesen. Ich musste auf dem schmalen Grat wenden, ohne zu allem Luxus noch in einer nassen Wiese steckenzubleiben. In Ruthe.
Auf dem Sofa in Berlin sieht man ganz entspannt vom Hochwasser im Fernsehen. Doch so live davon betroffen war das Ganze schon unangenehm.
Es ging wie gehabt weiter, ohne Rücksicht auf ramponierte Nerven. Was mir in diesem Moment nicht bewusst war: Ich befand mich definitiv auf der falschen Seite sämtlicher über die Ufer getretenen Gewässer. Mein Reiseziel lag offensichtlich unerreichbar hinter dem anderen Ufern der Innerste, die aufs Äußerste angeschwollen war. Beziehungsweise der Weser, die mit ihrem heutigen Hochwasserstand jeder Rattenplage auch ohne legendären Fänger ein Ende bereitet hätte.

In mir hatte sich ein beachtlicher Druck aufgebaut, als hätte ich eine Kartusche Campinggas zum Frühstück genossen. Alles um mich herum wurde egal. Tunnelblick. Offenbar kein Entrinnen aus dem Wasserlabyrinth. Ich bog, einem Nervenkasper nahe, in einen Seitenweg ein und hielt erst einmal an. Mein gellender Urschrei, der Tarzan hätte erblassen lassen, erschütterte die Szenerie. Vernommen von zwei erstaunten Radfahrern, die unerwartet aus dem Nichts auftauchten, vermutlich durch das Wasser von der anderen Seite gekommen. Auf einer verlassenen Stichstraße im Grünen wurden sie unfreiwillig Zeugen eines Dramas auf vier Rädern:
Eine scheinbar komplett verrückt gewordene oder an Veitstanz erkrankte Frau, die wie angestochen in ein Smartphone schrie. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Irgendwo zwischen Giften und Barnten. Kennen Sie doch sicherlich? Aus der nahen Psychiatrie in Köthenwalde konnte sie nicht sein, denn der Weg dorthin war unter Wasser…

Ich hatte inzwischen versucht, meine Freundin zu erreichen.
Sie nahm ab und meldete sich erfreut, was sie spätestens in der nächsten Sekunde bereut haben dürfte. Abgehoben zu haben. Am Arsch, die Pampa, ich komme niemals an, krisch es ihr hysterisch aus dem Hörer entgegen. Mit einem nachmittäglichen Anruf aus der Irrenanstalt, zumal mit meiner Nummer, hatte sie nicht gerechnet. Seit Stunden kreise ich hier im Niemandsland! Überall Barrikaden! An den sinnfreiesten Stellen! Und dann überall Sperrungen wegen Hochwassers. Ich dreh durch!! Genau genommen war ich schon mittendrin, im Durchdrehen. Weißt du, wo du bist? kam es zaghaft aus dem Hörer. Erwecke ich den Eindruck, als ob ich das wüsste? brüllte ich zurück. An das Hochwasser habe ich gar nicht mehr gedacht, ließ sie dann vermelden. Ja, ich noch weniger, sonst hätte ich dieses Himmelfahrtskommando besser sein gelassen. Ich fahr jetzt zurück. Ich habe die Faxen dick! machte ich meinen äußerst erhitzten Mütchen Luft, in einer Lautstärke von geschätzten 90 Dezibel. Vermutlich vernahm man im nahen Giften, dass irgendjemand, mit der Stimmlage einer hochtourig drehenden Bohrmaschine, seine Rückreise verkündete. Das war nun die mit Abstand blödeste Idee. Das fiel selbst mir in meiner Rage auf. Aber es tat zumindest gut, damit gedroht zu haben. Ist irgendwo eine Gaststätte in der Nähe? kam eine konstruktiv gemeinte Frage durch das Telefon. Diese Frage erschien mir in meinem Ausnahmeszustand irgendwie fehl am Platz. Soll ich jetzt vielleicht zu lecker Kaffee und Kuchen einkehren? Oder vielleicht doch eher ein Bauernfrühstück, schön mit Gurke und Petersiliensträußchen? fragte ich. Nein, zum Beispiel ein Wasser trinken. Und mal raus aus dem Auto. Wasser habe ich dabei, teilte ich ihr in unverminderter Lautstärke mit. Und Aussteigen ist ja wohl kaum die Lösung, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass Hönne danach auch wieder anspringt. Ich hielt es für die bessere Idee, langsam an die beiden Radler heran zu rollen, die an der Einmündung zur Straße nach Nordstemmen (?) standen und sich unterhielten. Ich schaute die Herren aus verzweifelten Pandaaugen an. Mein Make up hatte sich irgendwann verabschiedet. Mein Look schien meine Bedürftigkeit zu unterstreichen, denn die Männer überschlugen sich in ihrer Hilfsbereitschaft. Den Hörer noch in der Hand antwortete ich auf ihre Frage nach dem Ziel meiner Reise: Böbber! Fragezeichen in vier Männeraugen. Wo bitte ist das?
Der Panda reichte dem jüngeren von beiden wortlos das Smartphone mit der Freundin. Bad Münder, antwortete diese deutlich brauchbarer. Ah, dann fahren sie über Barnten, Giften, Sarstedt…

Nicht vom Himmel hoch, sondern von genau dort kam ich her. Letztlich landete ich auf der A2, die ich unbedingt meiden wollte. Quengelte mich fast dankbar durch eine zwölf Kilometer lange Baustelle, um dann zwei Stunden später als geplant anzukommen. Das Rehaprogramm startete umgehend, so dass bleibende Folgeschäden nicht zu beklagen sind.

Am Arsch – Die Pampa

Eine Odyssee
 
Teil 1
 
Irgendwann muss Frau mal raus aus dem Moloch Großstadt. Raus aufs Land. In die Reha, wie meine beste Freundin aus dem tiefsten Niedersachsen frohlockt. Betonung auf „lockt“. Mit der Aussicht auf ein Verwöhnwochenende, inklusive Endlosweitblick ins Grüne, Bummel in einer historischen Kleinstadt an der Weser, deren Symbol eine güldene Ratte auf einem Brückensims ist. Dort soll ein flötender Musikus Kinder aus der Stadt entführt haben. Derartiges zu institutionalisiseren hat schon etwas Fragwürdiges. Na, wer hat in Heimatkunde aufgepasst?
 
Vollpension, romantisches Glöckchengebimmel der kleinen Dorfkirche und Ausschlafen de Luxe, dank Sauerstoffextremgenuss´ anstelle Hauptstadtfeinstaubs.
Einem solchen Lockruf sollte Frau unbedingt folgen, oder?
 
Gesagt, getan. Meine letzten Rehaaufenthalte im beschaulichen Niedersachsen waren Entschleunigung pur. Das lag nicht nur an der vergleichsweisen Reizarmut und dem unverbaubaren Deisterblick. Vielmehr an guter Pflege und hervorragender Verköstigung, die abends ihren krönenden Abschluss in der einen oder anderen Flasche Wein unter dem Sternenhimmel fand. Sternenhimmel konnte aufgrund der aktuellen Sommerwetterlage etwas schwierig werden. Doch, die konnte man sich bekanntlich einerseits erkochen, oder aber ertrinken. Wir waren offen für Letzteres. Für Witzbolde: Um möglichen, völlig fehlgeleiteten Assoziationen vorzubauen, – die Hauptstadtfrau wollte zu keiner Zeit über den Deister.
 
Vor der großen Fahrt musste ich Hönne, das liebste und beste Gefährt der Welt, noch entrümpeln. Erwähnte ich schon, dass ich über so wenig Platz verfüge, dass jeder erdenkliche freie Raum kurzerhand zum Stauraum erklärt wird? Da macht das vierzehn Jahre alte Modell eines französischen Autobauers keine Ausnahme. Türen auf, Beifahrersitz vorklappen, dicke Winterjacken einladen, die in der kommenden Saison nicht nach Kellermuff riehen sollen. Kofferraumklappe hoch,- oh, schon voll. Das war dann also nichts mit `kurz das Auto reisefein machen und Abfahrt´. Vor die Reise ins Grüne hatten die Götter der Kleinstwohnungen in Ballungsräumen erst einmal eine ordentlich Großaktion in Sachen Auto aufräumen gestellt. Wohin jetzt mit all dem Zeug, das sich so schön unsichtbar gemacht hatte, und dabei gleichzeitig auch völlig in Vergessenheit geraten war? Eine Entscheidung musste her, was die Verwandlung der rasenden Altkleiderkammer zurück in ein normal genutztes, handelsübliches Fahrzeug betraf. Ein Teil fand nun endgültig seine letzte Ruhestätte in der Mülltonne, ein Teil wurde in den proppenvollen Kellerverschlag gequetscht. Der Rest wanderte zurück in den Kleiderschrank, gern auch „Die 0,5- Zimmerwohnung in der Wohnung“ genannt.
 
Nach Abschluss aller Vorbereitungen sollte es dann auch endlich mal losgehen. Die Pflanzen auf dem winzigen Balkon hatten ihre Pulle bekommen. Meine grünen Flaschenkinder. Den Trick, wie man Pflanzen in seiner Abwesenheit vor dem sicheren Verdursten retten konnte, hatte meine Freundin mir verraten. Berliner Sommer konnten ja tropisch sein. Oder aber verregnet, wie dieser. Aber, man weiß ja nie. Ungekannte Mengen Wassers verließen tagelang teils schwallartig das tiefgraue Firmament, verwandelten Städte und ganze Landstriche in beachtliche Seenlandschaften. Rinnsale und kleine Bäche wurden zu reißenden Strömen. Etliche Berliner S-Bahn-Unterführungen erfreuten sich großer Beliebtheit als naheliegende Badestellen. Ganz im Gegensatz zu den verwaisten Freibädern oder den sonst stark frequentierten Badestellen an Wannsee und Havel.
 
Wenngleich seit Tagen die Sonne auch in Strömen schien, meine Pflanzen bekamen ihre Flasche. Die Glasflaschen wurden befüllt umgekehrt in die Erde gesteckt. So konnte meine Balkonpracht sich ihr Wasser nach Bedarf ziehen. Osmotisch. Einer meiner Lieblingsbegriffe seit der Schulzeit. Nicht, weil ich Biologie nun so geliebt hätte. Nein, ich erinnere mich daran, wie ich manches Mal total übernächtigt in der Schule den Schlaf mit geöffneten Augen probte, während sich das Wissen scheinbar osmotisch seinen Weg in mein Hirn bahnte. Diffusion passt hier zwar besser, da es sich um den Ausgleich eines Gefälles von Viel in Richtung Wenig via Luftweg handelt, doch das war ja grad nicht das Thema.
 
Nun aber los. Den Koffer hatte ich bereits unter Anstrengung auf die Rückbank des Zweitürers gewuchtet. Der Kofferraum stand für diese Tour leider nicht zur Verfügung. Dort befand sich ein fast schon antiker, klobiger, mittelgroßer Röhrenfernseher. Und fuhr erster Klasse fensterlos zurück zu seiner Eigentümerin. Meine Freundin hatte mir das Gerät mir vor Längerem geliehen. Man sollte nun nicht davon ausgehen, dass durch seine Abreise etwa Platz im Keller hinzugekommen wäre. Nein, der war längst schon wieder belegt. Das ging schneller als man „Juchu, Platz!“ sagen konnte.
 
Auf dem Weg zum Auto, beim Öffnen der schweren, alten Haustür, stand aus völlig unerklärlichen Gründen mein rechter Fuß so unglücklich, dass ich mir den sich öffnenden Türflügel erst einmal über den Großzeh schob. Als der erste Schreck verflogen war und heftiger Schmerz einsetzte, humpelte ich erneut hoch in die Wohnung, um das Malheur zu betrachten und erstzuversorgen. Es genügte scheinbar nicht, dass ich mir an der Kommode neben der Wohnungstür unlängst den linken kleinen Zeh gebrochen hatte, und ihm beim Anschwellen auf Größe einer reifen Weintraube zusehen konnte. Nun war also der rechte Fuß auch endlich lädiert. Wenn auch nicht symmetrisch. Doch, wie sagt man, Symmetrie ist die Ästhetik der Dummen. Im Auto dann erinnerte jede Aktion auf Gas- oder Bremspedal an den ungleichen Kampf Großzeh gegen Uralteichentür.
 
Die Fahrt war wunderbar entspannt, nach dem missglückten Start. Die Laune gut, die Musik laut, näherten Hönne und ich uns den niedersächsischen Gefilden.

Sommer in der Winterwohnung

Da es also an Schwachsinn grenzt, ernsthaft daran zu denken, seine Wohnung zu kündigen, hockt jeder auf seinen mehreren oder wenigeren Quadratmetern Berlin. Und arrangiert sich mit seinen Gegebenheiten, so gut es geht. Ist die Wohnung zu groß geworden, weil wieder einmal eine Beziehung ihren Atem ausgehaucht hat, wird überflüssiger Wohnraum gewinnbringend bei airbnb untervermietet. Manche Wohnung im Kiez der Begierde ist ohnehin nur noch für Touristen verfügbar. Warum kündigen, wenn sich ein gutes Geschäft machen lässt mit der eigenen, ungenutzten Wohnung?

Ich habe definitiv ein Zimmer zu wenig. Doch ich unterstehe mich, hier auszuziehen. Selbst dann, wenn die Prenzelpuppenstube, klein und niedlich, auf einmal mehr noch als sonst eine Herausforderung darstellt. Weil Frau, ganz plötzlich und unerwartet, nicht mehr als unbemanntes Raumschiff durchs Großstadtleben schwebt. Und nun ihre raumgreifende Fernbeziehung in die beengten Wohnverhältnisse harmonisch zu integrieren versucht. In den ersten Wochen und Monaten, okay. Da genügt das Bett. Und auch ansonsten kann es gar nicht eng genug sein. Damit wäre das eine der beiden kleinen Zimmer des Hauptstadtfrauendomizils hinlänglich ausgelastet. Die restlich verbleibenden wenigen Quadratmeter, verteilt auf Küche, Wohnraum und Bad sind in Relation gesehen pro Person allerdings deutlich weniger Platz als der, der einem deutschen Knasthähnchen laut Gesetz zusteht. Und das kann definitiv nicht gesund sein. Oder gar gut gehen. Illusorisch. Und so kam es dann auch. Das Aus. Tja, Schwund ist immer. Der Kerl ist weg, – die Wohnung bleibt.
Mit allen Abstrichen, die Frau in den Sommermonaten machen muss.

Der menschliche Körper verfügt glücklicherweise über Mechanismen, die ihn samt seinem Inhaber schützen. Der Thalamus zum Beispiel ist hierbei äußerst hilfreich, weil er wiederkehrend auftretende Geräusche wegfiltert. Sehr gut. Nächtliches Lustgeschrei. Lautstarke Dissonanzen aus den Dachgeschossen mit bodentiefen Fenstern, wenn die Geigen mal wieder tief hängen. Anschließender unüberhörbarer Versöhnungssex inklusive. Vorzeige- Paare, die sich draußen auf den diversen Spielplätzen in Sachen Lächeln und Glücklichsein gegenseitig übertreffen. Die rechnen nicht mit dem exzellenten Stimmengedächtnis einer Hauptstadtfrau. Stimme und Stimmgeber sind schnell zugeordnet. Dann gibt es draußen schon mal einen wissenden Blick à la: Ich weiß, was letzte Nacht bei euch los war. Ach ja, der heile Prenzelberg. Traumkiez ohne jegliche Privatsphäre.

Die diversen nächtlichen akustischen Ereignisse stören irgendwann den Schlaf nicht mehr. Man muss einfach nur lange genug hier wohnen und seinen Thalamus trainieren. Als meine Freundin zu Besuch war, und in der eigens angemieteten Gästewohnung zwei Treppen tiefer eine unfreiwillige Nachtwache einlegte, weil im Innenhof Tekknomusik in Konzertlautstärke ertönte, schlief ich tief und fest. Komatös. Training ist eben alles. Trotzdem beruhigend zu wissen: Der nächste Winter kommt. Ganz bestimmt. Und mit ihm die himmlische Ruhe zurück.

SIZE ZERO -Fortsetzung-

 

Sie ist zurück: Die Flower Power. Bunte Blumenkränze in bestens gepflegtem Haar. Apropos Kult ums Haar. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie ich es bis ins heutige Alter schaffen konnte ohne Stroh auf dem Kopf. In Ermangelung einer Produktvielfalt, die heute die Drogeriemarktregale zum Durchbiegen bringt. Ich habe meine noch heute beneidenswert schönen, langen, ungefärbten, nicht ergrauten Haare weder mit Kernseife gewaschen, noch anschließend mit handgerührter Pampe aus Bier und Ei gepflegt. Ein Wunder, scheints.

Überhaupt, im Vergleich zu den heute einheitlich Youtube- Tutorial- gestylten Girls mit Einheitsfrisur, Einheits- Make- up, automatisiertem Einheits- Selfie- Duckface, wirken wir im Nachhinein wie die unbedarften Dorftrienen. Kein Trendy Hair Cut, keine Schminke, wie Make up früher noch hieß. Okay, es gab Clearasil gegen Pickel. Dann waren da noch diese unsäglichen Abdeckstifte, die man auf die pickelgeplagte Teenagerhaut bröseln konnte. Es gab sie in nur einem einzigen Ton, hell wie Lehm. Ob man nun der vornehm blasse Typ oder eher der dunkelhäutige war, man sah immer aus, als habe man `da was im Gesicht´.

Mit Mascara oder Eyeliner, damals Kajal Stift genannt, konnten wir nicht unfallfrei umgehen. Nach der Schminkaktion sah es aus, als habe man eins aufs Auge bekommen. Ein farblich völlig unpassender Lippenstift rundete die Karnevalserscheinung unharmonisch ab. Stilberatung? Damals ein Unding und Fremdwort. Wenn wir uns im Spiegel ansahen, kam uns kein glückliches Gesicht entgegen. Und das aus gutem Grund.

Also blieben wir pur, ohne Maske. Wir haben so auch noch fast jeden Jungen abbekommen, den wir wollten. Wie konnte das nur passieren? Doch zurück zu den Twiggies von heute. Was ist passiert in der Zwischenzeit? Sind Organe verlorengegangen, einem mir unbekannten Sparplan zum Opfer gefallen? Haben Außerirdische sich unter uns gemischt, und die Mendelsche Erblehre umgekrempelt, in Richtung Size Zero? Diese Körper sehen für mich aus, als musste man sich irgendwann entscheiden zwischen Modell 1 mit Magen und Darm. Oder Modell 2 mit Leber, Milz, Galle und Nieren.

Die Galle entfällt operativ nach wiederholten Burger- Koliken mit Anfang 30, und macht somit der Leber etwas Platz. Eine Spielart der Evolution und zugleich ein Muss zur Bewältigung des Alkoholkonsums, der in der Berliner Szene so Usus ist. Auch eine Art Evolution.

SIZE ZERO

Es gibt Dinge, unabänderliche Gegebenheiten, gegen die man sich einfach nicht wehren kann. Egal, was man unternimmt oder wie sehr man dagegen ancremt: Das Älterwerden.

Mit 50 wünscht Frau sich die Probleme zurück, die sie in der Zeitspanne zwischen 14 und 49 an den Rand der Verzweiflung trieb, direkt in die weit geöffneten Arme der dort lächelnd wartenden Krise. Heute, wo Frau gefühlt jeden berechtigten Grund hätte, den mehr oder minder ergrauten Kopf in den Sand zu stecken, meldet sich aus dem tiefsten Innersten eine kämpferische Stimme, die sagt: Wie? Jetzt erst recht! Junger Geist in altem Körper. Zeig‘s allen!

Leichter gesagt als getan. Manche Frau versteht diesen Lockruf ganz offensichtlich miss. Erscheint in der neu gefühlten Jugendlichkeit nicht wie eine junge Alte, hip, mit Style, sondern wie ein recycleter Teenager, dem über Nacht böse Kalorien im Kleiderschrank die Kledage zwei Konfektionsgrößen enger geschneidert haben. Wenn ich mich um die Frauen kümmere, soll das im Umkehrschluss nicht heißen, dass die Männer ein besseres Bild abgeben würden. Knapp Sechzigjährige, die sich in Shabby Jeans schießen, kombiniert mit Muscle Shirts, die sämtliches Wellfleisch an und unter den Armen vollumfänglich sichtbar machen. Winkearme sind keine Frauensache, wenn dies auch ein sich hartnäckig haltender Mythos ist. Das Shirt überspannt nun in der Körpermitte des Herren einen Äquator, die seine Größe ursprünglich nicht hergibt. Gibt zwangsläufig den einen oder anderen Anblick frei, den niemand bestellt hat. Ein Kondom zieht man auch nicht über eine Wassermelone. Wird dann das Base Cap mit dem Schirm nach hinten getragen, ist der alternde Berufsjugendliche perfekt.

Der Gang durch den Kiez bietet immer öfter den Anblick anmutiger, filigraner, gertenschlanker, gazellenartiger, hochgeschossener junger Frauen, in deren Gegenwart Frau sich spontan wie ein üppigst belegter Doppel Whopper fühlt. Es bringt mich immer wieder voller Erstaunen zu der Frage, wohin diese grazilen, extrem flachbäuchigen Wesen die Bio- Burger tun, die sie mit gutem Appetit verspeisen. Keine verdächtige Wölbung nach der Mahlzeit, samt 0,4 Liter Trendgetränk eingenommen. Da stehen mir Fragezeichen in den Augen.
Ich selber sehe hingegen nach einer vergleichsweise kleinen Mahlzeit für Stunden aus, als sei ich im sechsten Monat schwanger. Den Mädels ist nichts anzusehen. Keinerlei Atem- oder gar Verdauungsbewegungen. Überhaupt sahen wir sahen früher, in demselben Alter, doch irgendwie anders aus. Unsere Silhouetten glichen nicht denen von Brettern. Sicherlich gab es auch die eine oder andere beneidenswert Superschlanke, die sich dann aber auch anhören durfte: Schneewittchen – Kein Arsch und kein Tittchen. In Sachen Mode mussten wir ohne H&M, Primark, Shein und Zara auskommen. Eine Wrangler- oder Lewis Jeans kamen einer Offenbarung gleich. Schön war auch eine Feincordhose, mit leichtem Schlag. Ich erinnere mich an lange Baumwollflatterkleider, Zöpfe und Jesuslatschen. Oder an Clogs, grob gestrickte Alpaka Wollpullover, Palästinensertuch und einen BW-Parka: Fertig war das stylische Girlie der 1970 und 80er. Armselig und zum Lachen, aus heutiger Sicht, im aktuellen Vergleich. Doch, unser Hippie- Look von damals kommt auch bei den Mädels heute wieder gut an. Es kommt alles wieder. Außer Jugend, straffem Gewebe, aller Zeit der Welt und gefühlt unzählbaren Möglichkeiten. Das Leben legt den Turbo ein.

Wer hätte das gedacht?

Nein, weit gefehlt, sie ist weder verschollen, noch hat sie der Hauptstadt den Rücken gekehrt. Die Hauptstadtfrau hat sich eine kreative Pause genommen. Heute nun, einen Job und eine Beziehung später, taucht sie aus der Versenkung auf, um Neuigkeiten aus dem unberlinischsten aller Kieze zum Besten zu geben. Macht Euch auf Neues gefasst. Auch das lustige Hirn ist aus einer Art Dämmer erwacht.

Der Sommer hat eben erst begonnen. Kalendarisch auf jeden Fall. Zeigte sich ansonsten eher dem in Heinrich Heines Aphosrismus beschriebenen grün angestrichenen Winter gleich. Kühl, grau, ungemütlich. Als Besonderheit und ein erstes Highlight dieses Jahr: Die neue Sintflut. Nur eben ohne Arche Noah. Früher war doch alles besser. Das heutige Pendant zur Arche Noah wäre schätzungsweise die Aida Perla, nur ließ die auf sich warten. Ich vermute, dass dort Tiere an Bord gar nicht gestattet sind, von daher hätte das auch wenig Sinn gehabt. Wobei das wieder Hauptstadtstyle gewesen wäre, denn hier passt auch eins nicht zum anderen. Und der Rest klappt nicht. Berlin schnell erklärt.

Die Lieblingsstadt aller selbstberufenen Künstler, Lebenskünstler und der Spätzlefresser ist also kurzfristig mal richtig baden gegangen, zumindestens im Westteil. Der Osten war zwar schwer verregnet, jedoch reichte es hier bei Weitem nicht, um S- Bahnunterführungen zweckzuentfremden und kurzerhand zum Freibad umzufunktionieren. Entspannt ein paar 10- Meter-Bahnen zu ziehen, wie etwa in der Kreuzberger Yorckstraße. Nach 25 Jahren Einheit gibt es nicht einmal in meteorologischer Hinsicht eine Gleichheit. Tja, so sieht es aus. Mich als Wessie stört das ja weniger.

Manchmal reicht es schon für ein kleines Glücksgefühl festzustellen, dass bei den niedergegangenen Fluten der Keller mit allen Habseligkeiten, die nicht auf 33 Quadratmetern Berlin oder in dem antiken Schrank mit seiner Funktion einer 0,5- Zimmer-Wohnung Platz finden, trocken ist. Gar nicht selbstverständlich. Aber ein guter Anlass, seinem pesönlichen inneren Feng Shui freien Lauf zu lassen, und mal großzügig auszusortieren. Weg mit dem alten Muff. Alles neu macht der Juli. Allora, andiamo !

So. Wieder da. Eine Drohung, kein Versprechen. 🙂

Eure HSF