Putango

Heute: Italienisch.

Putana.

Putana ist das italienische Wort für Nutte.

Wozu nun dieser kryptisch anmutende Kurzprolog? Fragen sich die geneigten LeserInnen der Hauptstadtfrau, die wissen, dass diese vor mehr als zehn Jahren in Berlin dem Tango argentino den Rücken kehrte. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Tangoneuling auf den Milongas der Hauptstadt. Erlebnissen, die in etwa so erfreulich waren, wie sich stundenlang mit wachsender Begeisterung mit einem Hammer auf den Daumen zu schlagen, bis dieser endlich platzt.

In Hamburg nun, nach langen Jahren der Rekonvaleszenz, wie man annehmen könnte, kam die Liebe zum argentinischen Tanz unerwartet zurück. Und mit ihr deutlich erfreulichere Erfahrungen als in der Hauptstadt.

Dinge aus der Vergangenheit verblassen bekanntlich in der Erinnerung. Oder verklären sich mit der Zeit. Umso wuchtiger fliegt einem alles bei einer Neuauflage um die Ohren. So zum Beispiel bei Tango 2.0

Nun ist überall, national und international, das Problem im Tango ähnlich gelagert. Das Problem heißt: Frauenüberschuss. Es gibt viel zu viele Frauen, die als sogenannte Folgende, bzw. Geführte, gern tanzen möchten. Im Verhältnis dazu gibt es eindeutig zu wenige führende Rollen, die diese unzähligen Tanzwilligen auffordern und beglücken könnten oder wollten. Zudem bleibt man lokal gern unter sich. Mann betanzt die, die Mann kennt. Oder tanzt eher mit einem anderen Kerl, als mit einer ihm unbekannten Frau. So sieht das aus. Die Ausnahme ist Buenos Aires, die Wiege des Tango. Wo Frauen, auch solche jenseits der 50, jenseits Kleidergröße Size Zero und des Status‘ „Fortgeschritten“, sehr willkommen sind. In Argentinien erfahren Frauen höchste Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Sie werden aufgefordert, gelegentlich nicht nur zum Tanze. Kennen Sie den auch noch: Darf ich bitten? Oder wollen wir erst tanzen? Nicht ohne Grund ist Buenos Aires das gepriesene Eldorado tangoliebender Frauen jeglichen Alters.

Hier erfährt Frau 60 plus zu ihrer großen persönlichen Überraschung und Freude urplötzlich, dass sie gar nicht unsichtbar ist. Und bei Weitem nicht auf Trockendock liegt. Weder tänzerisch noch sexuell. Nein, in BsAs tanzen die Frauen. Nächtelang. Glücklich. Himmlische Zustände,- wie die Hauptstadtfrau aus mehreren verlässlichen Quellen erfuhr.

Ganz anders nun verhält es sich in Europa. Daselbst jüngst erfahren in Deutschland, Italien und Polen. Nieman(n)d schiebt gern eine Unbekannte, womöglich dazu gar eine Anfängerin, übers Parkett! Eine ganze Tanda lang,- sprich: drei oder vier Tänze. Will sagen, gleichbedeutend mit zehn bis zwölf Minuten wertvoller Lebenszeit. Nein!

Männer haben bekanntermaßen eine kürzere Lebenserwartung als Frauen, daher müssen sie sorgsam mit ihrer Lebenszeit umgehen. Saufen, Rauchen, Fressen, ja. Doch: Keine der wertvollen Minuten mit einer unbekannten Tangowilligen vergeuden! Bewahre!

Selbst, wenn man es sich kaum vorstellen mag: Eine fassungslose Tänzerin beklagte unlängst bestürzt, von einem Eintänzer in der Fischbratküche einfach stehengelassen worden zu sein. Nach nur einem von vier Tänzen. Weil sie seiner oder seines begnadeten Tanzniveaus augenscheinlich nicht würdig war. Vermutlich war sie zudem nicht Teil des Inner Circles einer der diversen arroganten, elitären Bessertänzer- Cliquen. Die kennt die Hauptstadtfrau aus Berlin. Die Hauptstadt scheint noch immer führend in Sachen Arroganz und darin, sich selbst zu zelebrieren.

Die Elite tritt gern heuschreckenartig auf Festivals in Erscheinung. Und hinterlässt bei manchem das ungute Gefühl, nicht wirklich des Tangos mächtig zu sein. Während die Bessertänzer zeigen, was eine Harke ist. Oder besser: Ein hohes Bein beim Boleo, beim Gancho, bei rotierenden, beinzwirbelnden Hebefiguren oder einem eingesprungenen Rittberger auf das ausgestellte Knie des Herrn. Die virtuosen Darbietungen sind dabei derart raumgreifend, dass man tunlichst zügig auf Abstand geht. Um nicht den einen oder anderen spitzen Absatz in Achillessehne oder Wade gespickt zu bekommen. Oder sich eine schöne Perforation in sein Mittelfußgewölbe stanzen zu lassen. Denn, merke: Eine kleine Tanzfläche ist für manche noch lange kein Grund, den Tanzstil und Bewegungsradius entsprechend anzupassen. Damit sollen sich gefälligst die anderen arrangieren, sofern sie auf körperliche Unversehrtheit Wert legen.

Manches einschlägige Tango- Etablissement mit wohlklingendem Namen gleicht gefühlt vermintem Gebiet. Ähnlich wie bei Clans und Großfamilien in der organisierten Kriminalität, scheint die Tango- Elite der Stadt das Terrain unter sich aufgeteilt zu haben. Die Elite bleibt sich treu-, in Auftritt, Art und Weise. Das Tango- Fußvolk hingegen bleibt andächtig staunend und gleichermaßen verzweifelt zurück. Recherchen haben ergeben, dass es das männliche Pendant zu Putana, also Putano, nicht zu geben scheint. Wenn es hier auch hauptsächlich um die Frau im Tango geht,- auch Männer haben gelegentlich ihr Tun. Um der Wahrheit zur Ehre zu gereichen. Auch Mann bekommt gelegentlich einen Korb von Frauen, es wird seinem Blick ausgewichen. In diesem Fall handelt es zumeist um Frauen, auch als sogenannte Cherry Picker bekannt, die freiwillig fast den ganzen Abend sitzen, bis einer der Bessertänzer auf den Plan tritt und sie auffordert. Doch, es soll hier nicht um Minderheiten mit Luxusproblemen gehen.

Frauen belegen im Laufe der Zeit Frauentechnik- Workshops. Für eine gute Achse, Fußarbeit und schöne Embellishments. Wozu genau? Um gut aufgerichtet, auf dem Stuhl sitzend, ebendort festzuwachsen? Dabei formschöne kleine Adornos unter dem Sitzmöbel auf den Boden zu scharren? Verzierungen für niemanden, nicht einmal für sich selbst? Wieviel Masochismus muss Frau in sich tragen, um sich das, ohne wirkliche Not, anzutun?

Emanzipierte, gebildete, attraktive Frauen verfallen in eine Art mittelalterlichen Zustand. Erlangen gefühlt aus der Zeit gefallene Daseinszustände, in denen sie zu grinsenden Zombies verkommen. Sie säumen, sitzend, den Tanzboden, an dessen Ecken die Männer sich aufbauen. Um von dort in exponierter Position, den wählerischen Blick über das Angebot, die üppige Auslage, schweifen zu lassen.

Manche Frau hat, aus der Not heraus, eigene Methoden entwickelt, um an eine Tanda zu gelangen: Mann anvisieren, sich neben ihm platzieren und umgehend damit beginnen, ihm eine Imbissbude ans Ohr zu texten. So lange, bis er keinen anderen Ausweg mehr sieht, sich ihrer zu entledigen, als sie aufs Parkett zu führen. Notfalls kann Mann die Tanda auch abkürzen…

Bei „Mann“ ist auch von Männern die Rede, neben denen Frau in der U- Bahn nicht freiwillig Platz nehmen wollte, wäre anderswo ein freier Sitzplatz in Sicht. Beim Tango, auf der Milonga ist schlagartig alles anders. Es gelten andere Prinzipien. Mann mutiert zum obskuren Objekt der Begierde. Ausnahmslos wirklich jeder wird angelächelt, bis der Arzt kommt. Wird wimpernklimpernd angestrahlt,- so, als gäbe es kein Morgen.

Kommt es dann doch zu einer Paarung im Sinne des Tangos, kann es passieren, dass Frau sich wie ein behäbiger Eichenschrank über das Parkett geschoben fühlt. Sich wahlweise, wie in einer Schraubzwinge eingeklemmt, kaum bewegen, geschweige denn, atmen kann. Oder, es wird an ihr gerissen. wie an einem schwergängigen Fahrradlenker. Im größten aller möglichen Unglücksfälle verfügt der Herr über größere Mengen Zahnsteins im stets leicht geöffneten Munde. Wo unter der Anstrengung der Führung nun jede Ausatmung einen intensiven, muffig- säuerlichen Geruch freigibt. Von einem triefnass geschwitzten Polyesterhemd, unter ihrer Hand auf den Rücken des Herrn, einmal ganz zu schweigen. Frau soll jetzt mal nicht undankbar sein. Immerhin darf sie tanzen. Wenn auch mehr schlecht als recht. Mundgeruch kann durchaus dabei dienlich sein, die Situation weniger deutlich, wahrzunehmen, so olfaktorisch vernebelt. Gleich darf sie ja wieder über Stunden sitzen und sich dabei hinlänglich regenerieren.

La Putana. Da sitzt sie. Die Tanguera. Nicht unähnlich den Sexdienstleisterinnen im Amsterdamer Rotlichtviertel. Spärlich bekleidet, lächelnd, lockend, sitzen sie in Schaufenstern und warten. So auch die Tanzwillige. Aufgebrezelt. Aufgedonnert über Stunden. Im heimischen Zimmer ein Berg Tangobekleidung, als sein der Kleiderschrank explodiert. Sie hat sich schön zurecht gemacht. Das Kleid kniefrei bis zum Hals. Dazu waffenscheinpflichtige Stiletto- Highheels, die jedem Orthopäden leuchtende Dollarzeichen in die Augen zaubern.

Dabei könnte sie ebenso gut in beuteliger Latzhose, Modell Berliner Stadtreinigung, erscheinen. In ausgelatschten Birkenstöckern. Mit komplett verunglückter Friese oder, wahlweise, im Out of Bed Look. Mit veritablen Panda- Augenringen, wie nach einer zünftig durchzechten Nacht. Mit Damenbart oder einem leuchtend rotem Pickel am Kinn. Am Ergebnis würde das nichts ändern. Nichts.

Doch, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und,- es sitzt sich hübsch aufgerüscht einfach etwas selbstsicherer und würdevoller in der unwürdigen Gesamtsituation. Besser, als sich zudem noch wie Quasimoda zu fühlen.

Vielleicht hilft das angestrengte Dauerlächeln wenigstens gegen Faltenbildung? Face Yoga, quasi? Gibt es da nicht ein Asana namens „Wartende Frau mit Dauergrinsen wie nach überstandenem Schlaganfall“? Die Mundwinkel wie an die Ohren angeknöpft. Dazu permanentes Kopfnicken, als sei die Bedauernswerte nun auch noch an Morbus Parkinson erkrankt.

Dabei macht sie nur den Cabezeo. Die kleine aufmunternde Kopfbewegung, die dem Tänzer signalisiert, dass sie sich gern für diese Tanda mit ihm verabreden würde. Nicht zum Heiraten, nicht für eine Bergsteigertour auf den K2,- nein, für nur eine Tanda. Drei bis vier Tänze. Zehn bis zwölf Minuten. In der Musik zu sein und dabei einen Augenblick lang glücklich. In dem Augenblick, für den sie sich Schwielen gesessen hat.

Die Cortina. Die Pause zwischen den Tänzen,- der Moment, die Mundwinkel noch ein wenig höher zu ziehen. So, als habe man einen Pferdeschwanz bedeutend zu stramm am Hinterkopf zusammengerafft. Jetzt aber den Blick kreisen lassen. Bis zum Schleudertrauma. Lächeln. Nicken. Oh,– Cortina vorbei.

Jetzt Plan B. Die dauerlächelnde Aufgerüschte schaut in die eigene Sitzreihe. Die letzte Gelegenheit für das schmerzlich verschmähte und sitzengebliebene Restepastetchen, doch noch einen der begehrten Führenden abzubekommen.

Na gut. Dann nicht. Vielleicht bei der nächsten Tanda. Oder der übernächsten. Oder.

Epilog:

Putana = Nutte.

Tango = Tanz.

Putango.

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